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Einblicke in den Alltag einer Stomafachperson

04.10.2021

Was ist für Stoma-Neulinge wichtig? Was sind die meistgestellten Fragen von Patienten? Frau Appel, Leitung Stomaberatung im Spital Zofingen beantwortet spannende Fragen und gibt einen Einblick in ihre täglichen Aufgaben.

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Wie sieht Ihr Alltag als Leitung Stomaberatung aus?

Da ich in einem kleinen Krankenhaus arbeite und nicht nur in der Stomaberatung, sondern auch noch in der Proktologie und der Urologie tätig bin, gestalten sich meine Tage sehr abwechslungsreich. Wir sehen Personen, welche neu eine Stomaanlage erhalten schon vor der Operation. Bei diesem Treffen lokalisieren wir mit dem Patienten zusammen die bestmöglichste Lage für den geplanten künstlichen Darmausgang. Fragen werden geklärt und der erste Wechsel der Stomaversorgung wird anhand eines Vorführmodells durchgeführt. Dann besuchen wir die Patienten mit einer Stomaanlage auf den verschiedenen Abteilungen des Spitals und des Pflegezentrums. Wir instruieren einerseits die Stomaträger im Umgang und der Pflege des Stomas, stehen aber auch den Pflegefachkräften mit Rat und Tat zur Seite. In unserem Sprechstundenzimmer empfangen wir dann die Personen zur ambulanten Beratung. Nebenbei bieten wir auch Fortbildungen für Fachpersonen, z.B. der Spitex an, welche ihr Wissen in der Pflege von Stomaträgern vertiefen möchten. Zudem stehen wir im engen Kontakt mit den behandelnden Ärzten. Oft fungieren wir als Bindeglied zwischen Patienten, Pflegenden, Ärzten und Angehörigen. Nebst den vielen praktischen Tätigkeiten rund um unsere Klienten gibt es noch einige administrative Tätigkeiten, die zu erledigen sind: Einsatzpläne schreiben, Material bestellen, Richtlinien überarbeiten und Rezepte und Anträge ausstellen.

 

Was ist die grösste Herausforderung in Ihrem Job?

Jeden Stomaträger an dem Punkt abzuholen, an dem er sich gerade befindet. Immer wieder stehen schwerwiegende Diagnosen hinter einer Stomaanlage. Die psychische Belastung der Patienten ist sehr gross und in dem Ganzen müssen sie sich noch mit dem Stoma auseinandersetzen. Dort gilt es Schritt für Schritt zusammen zu gehen. Mit offenem Ohr und dargebotener Hand.

 

Was sind die häufigsten gestellten Fragen von Patienten? Und was sind Ihre Antworten darauf?

Meist sind es Fragen die den Alltag betreffen:

Was darf ich mit dem Stoma noch essen und trinken?
Grundsätzlich muss man mit dem Stoma keine Diät halten. Sicher ist es von Vorteil, wenn man das Essen gut kaut und gerade zu Beginn mit blähenden Speisen und Getränken etwas zurückhaltend ist. Bei Dünndarmstomas ist es essenziell viel zu trinken, da der Dickdarm, welcher sonst für die Wasserresorption zuständig ist, nicht mehr aktiv sein kann. Auch gegen ein Glas Wein oder ein Bier ist nichts einzuwenden. Zum Teil führt es dann zu etwas flüssigerem Stuhl.

Kann ich noch duschen, baden und schwimmen?
Ja, dies ist alles möglich. Die heutigen Stomamaterialien haften gut und lassen dies zu. Ich habe auch Patienten bei mir in der Beratung, welche in die Sauna gehen.

Wie sieht es mit Sport aus?
Auch Sport darf getrieben werden. Sicher ist bei Kampfsportarten Vorsicht geboten. Auch bei Aktivitäten, bei welchen der Bauch stark belastet wird, muss nach der Operation erstmal einige Wochen pausiert werden.

Darf ich mit meinem Partner/mit meiner Partnerin noch sexuell aktiv sein?
Prinzipiell auf jeden Fall. Oft ist es einfacher, wenn der Partner/die Partnerin schon während des Spitalaufenthalts einen ersten Blick auf das Stoma werfen kann, dann ist die Hemmschwelle reduziert, resp. die Scham ist nicht mehr so gross. Natürlich gilt es Rücksicht zu nehmen auf allfällige Schmerzen. Je nach Eingriff kann es bei Männern auch zu Erektionsstörungen kommen.

Wie soll ich mich gegenüber meinen Freunden, Mitarbeitern, Bekannten verhalten?
Es ist empfehlenswert, die Leute, mit denen man häufig Kontakt hat, über das Stoma zu informieren. Oft entstehen gute Gespräche daraus und man steht nicht unter Druck etwas verheimlichen zu müssen. Auch begegnen einem Bekannten dann mit Verständnis, wenn man häufiger die Toilette aufsuchen muss. 

Kann ich das Stoma selbst versorgen? Ich sehe es ja gar nicht so gut.
Wenn es von den Umständen her möglich ist, so ist es von Vorteil, sein Stoma selbst zu pflegen. Dies gibt Sicherheit und führt zur Unabhängigkeit. Bei Patienten mit einem Dick- oder Dünndarmstoma füge ich an, dass wir ja ein Leben lang unser Gesäss abwischen, ohne wirklich Einsicht zu haben. So ist die Reinigung des Stomas kein Problem, auch wenn man nicht alles einsehen kann. Beim Anbringen der Versorgung gibt es gewisse Kniffs, mit denen man das Material passgenau applizieren kann. Ich denke es ist für die Betroffenen wichtig, zu wissen, dass die Stomapflege kein steriler Verbandswechsel ist, sondern ganz lapidar gesagt: "Fudi putzen" auf dem Bauch. Mit dem Unterschied, dass danach noch ein Beutel angebracht werden muss. Ich weiss, dass es leider nicht bei allen Stomaträgern ganz so einfach ist, aber sie sollen sich nicht entmutigen lassen, es gibt immer eine Lösung.

Die Antworten sind hier kurz abgehandelt. Bei den Beratungsgesprächen werden die Punkte ausführlicher erläutert. Dies würde jedoch den Rahmen dieses Interviews sprengen.

 

Welche Tipps haben Sie für einen Stoma-Neuling?

Sich Zeit geben um Diagnose, Operation und auch die Stoma-Neuanlage zu verarbeiten und zu akzeptieren. Jeder Mensch ist verschieden und somit ist der Umgang mit dem Stoma für jede Person wieder ganz individuell. Ein Schritt nach dem anderen gehen. Es wird gute und schlechte Tage geben, das ist ganz normal. Unterstützung holen, wenn sie gebraucht wird, denn sie sind nicht allein. Prinzipiell ist es von Vorteil, wenn die betroffene Person das Stoma möglichst rasch selbst versorgt. Sofern dies von der Situation her möglich ist. Selbständigkeit und Unabhängigkeit führt in den meisten Fällen zu besserer Akzeptanz und zu mehr Sicherheit im Alltag. Wenn Fragen, Unsicherheiten oder immer wiederkehrende Leckagen bei der Stomaversorgung auftauchen, sollte dies unverzüglich bei der zuständigen Stomaberatungsstelle gemeldet werden. Die Stoma-Neulinge sollen schrittweise wieder in ihr Leben zurückzufinden. Das Stoma sollte kein Hinderungsgrund sein, um Freunde zu treffen, Hobbys zu pflegen, Sachen zu unternehmen. Eventuell möchten sie sich mit anderen Stomaträgern austauschen. Die zuständige Stomaberatungsstelle gibt gerne Kontaktdaten an.

 

Möchten Sie Stomaträgern sonst noch etwas mit auf den Weg geben?

Es ist mir ein Anliegen, dass die Stomaträger über ihre Rechte Bescheid wissen.

Charta der Rechte von Stomaträgern aus Anlass des Welt-Stoma-Tages 1993 hat der Koordinierungsausschuss der Internationalen Stomavereinigung IOA folgende Charta (Urkunde) der Rechte von Stomaträgern verabschiedet: Es ist das erklärte Ziel der Internationalen Stomavereinigung, dass alle Stomaträger das Recht auf eine befriedigende Lebensqualität nach ihrer Operation haben und dass diese CHARTA in allen Ländern der Welt verwirklicht wird.

Es ist das Recht von Stomaträgern:

  • Vor der Operation beraten zu werden, damit sie sich der Vorteile der Operation voll bewusst sind und die wesentlichen Fakten über das Leben mit dem Stoma kennen.
  • Ein gut angelegtes Stoma zu erhalten, das richtig platziert ist, unter voller und angemessener Berücksichtigung des Wohlergehens des Patienten.
  • Erfahrene und professionelle medizinische und pflegerische Unterstützung vor und nach der Operation zu erfahren, sowohl im Krankenhaus als auch in ihrer Gemeinde.
  • Vollständig und unparteiisch informiert zu werden über alle einschlägigen Stomaartikel, die in ihrem Land verfügbar sind.
  • Die Gelegenheit zu haben, ohne Vorurteil oder Zwang aus der verfügbaren Vielfalt von Stomaartikeln auszuwählen.
  • Informiert zu werden über ihre nationale Stomavereinigung und deren Dienste und Unterstützung. Unterstützung und Information zu erhalten zum Nutzen der Familie, der persönlichen Bekannten und Freunde, um deren Verständnis zu fördern für die Bedingungen und Anpassungen, die notwendig sind, um einen befriedigenden Lebensstandard mit dem Stoma zu erreichen.


Frau Appel, ich danke Ihnen für Ihre Zeit und den Einblick in Ihren Alltag.

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